Ich rufe meine Brüder

von Jonas Hassen Khemiri

In Stockholm ist ein Auto explodiert. Amor, der Ich-Erzähler der Inszenierung, irrt durch eine Stadt, die von Paranoia gelähmt ist. Amor ist kein Terrorist. Auch wenn wir das annehmen könnten, nachdem wir uns 24 intensive Stunden lang in seinem Kopf befunden haben. Amor ist schwedischer Student, bester Kumpel, hilfsbereiter Cousin und fürsorglicher Enkel. Er ist unschuldig.
Auch wenn er selbst daran zu zweifeln beginnt. Er bewegt sich durch die Stadt und geht möglichst unauffällig seinem Alltag nach. Aber wie sieht man aus, wenn man sich ganz normal verhält?
Amor fängt an, sich selbst zu beobachten. Ist das schon paranoid, oder ist die Stadt tatsächlich in Angst erstarrt? Wie gut, dass ihm seine Verbündeten, Pardon, seine Liebsten zur Seite stehen – zumindest am Telefon. So spricht er mit seiner Cousine in Tunesien, mit seiner Jugendliebe Valeria, sogar mit seiner Oma im Jenseits und schließlich auch mit Shavi, der schon eine Stunde nach dem Attentat gute Ratschläge für ihn hatte.

Er ruft seine «Brüder», um sich zu vergewissern, wo die Grenze zwischen Täter und Opfer, Phantasie und Wirklichkeit verläuft. „Ich rufe meine Brüder“ ist eine Tour de Force durch Realität, Erinnerung, Verfolgungswahn, Vorurteil und Heimatlosigkeit eines jungen Mannes mit Migrationshintergrund. Ein vielschichtiges und sprachmächtiges Spiel über eine Gesellschaft in Angst.

Jonas Hassen Khemiri, 1978 in Stockholm als Sohn einer Schwedin und eines Tunesiers geboren, gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Autoren Schwedens.
In “Ich rufe meine Brüder” verarbeitet er ein Attentat, das 2010 die Stockholmer Innenstadt erschütterte, zu einer Coming of Age-Geschichte, in der die Zweifel und Verwirrungen eines Heranwachsenden durch seinen Migrationshintergrund, westliche Terrorismusängste und gesellschaftliche Generalverdächtigungen verschärft werden. Khemiri ergreift dabei geschickt keine Partei. Der bisweilen hysterische Züge annehmenden Angst vor islamistischen Terroristen setzt er Amors eigene Paranoia entgegen: Das Wissen, allein aufgrund seines Äußeren als potenzieller Täter zu gelten, lässt ihn selbst zum Opfer werden.

Inszenierung: Katarzyna Maria Noga
Bühne und Kostüme: Anne Koltermann
Musik: Frank Cifarelli
Dramaturgie: Florian Heller
Mit: Lisan Lantin, Thomas Meczele, Philipp Noack, Flora Pulina
Fotos: Birgit Hupfeld & Diana Küster

Premiere: 26. April 2015
Grillo-Theater – Schauspiel Essen

Flora Pulina "Ich rufe meine Brüder" Video

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